„Wir haben die zwei Hypothesen, nämlich klimabedingte oder gesellschaftliche Faktoren, mithilfe von Simulationen in ihren Auswirkungen auf Populationsdynamiken überprüft. Im Nachgang konnten wir diese Simulationen mit archäologischen Daten zu Populationsdynamiken im mittleren Holozän in Europa vergleichen“, erläutert Mitautor Prof. Dr. Detlef Gronenborn (LEIZA) die Methode. Peter Turchin, Projektleiter am Complexity Science Hub (CSH) in Wien ergänzt: „Unsere Studie zeigt, dass periodischer gesellschaftlicher Verfall und die daraus folgende Zunahme von gewaltsamen Konflikten die beobachteten Zusammenbrüche vergangener europäischer Gesellschaften erklären – und eben keine Klimafluktuationen“.
Vielmehr passen die simulierten Muster eindeutiger zu den beobachteten Bevölkerungsdynamiken: Auf einen beginnenden gesellschaftlichen Verfall folgt eine Zunahme von gewaltsamen Konflikten, beides hat unmittelbare Auswirkungen auf die Bevölkerungszahl.
Verfall gesellschaftlichen Zusammenhalts als wiederkehrendes Muster
„Die Metastudie Explaining population booms and busts in Mid-Holocene Europe bestätigt die Ergebnisse verschiedener Fallstudien, die wir am LEIZA seit langem durchführen. Langfristig betrachtet, können wir sagen, dass im Rückblick Entwicklungen durch bislang immer wiederkehrende gesellschaftliche Verfallsprozesse bestimmt werden. Auch wenn es sich in unseren Studien um nicht-staatliche, landwirtschaftsbasierte Gesellschaften handelt, so lassen sich diese Muster problemlos auf spätere Perioden, bis zur Gegenwart übertragen,“ stellt Gronenborn fest. Mitautor der Studie und Wissenschaftler am CSH Dániel Kondor bestätigt „Tatsächlich war diese Zeit sehr viel dynamischer, als bislang vielfach vermutet.“
Für die Metastudie wurden Daten verwendet, die vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, im Rahmen eines Kooperationsprojektes, ermittelt wurden. Als Einzelstudien wurden das Massengrab von Kilianstädten (5000 v. Chr.) und die laufenden Forschungen zur befestigten Höhensiedlung Kapellenberg (4000 v. Chr.) einbezogen.
Publikation
Kondor, D., Bennett, J.S., Gronenborn, D. et al. Explaining population booms and busts in Mid-Holocene Europe. Sci Rep 13, 9310 (2023).
https://doi.org/10.1038/s41598-023-35920-z
Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)
Das LEIZA erforscht als Leibniz-Forschungsinstitut und -museum für Archäologie die materiellen Hinterlassenschaften aus 3 Mio. Jahren Menschheitsgeschichte. Ziel ist es, anhand archäologischer Funde und Befunde menschliches Verhalten und Handeln, menschliches Wirken und Denken sowie die Entwicklung und Veränderung von Gesellschaften aufzuzeigen und zu verstehen. Als eines von acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft verbindet das LEIZA exzellente Wissenschaft mit Ausstellungen und ist mit seinem Bildungsauftrag gleichzeitig ein Ort des Dialoges mit der Öffentlichkeit. Das LEIZA ist weltweit tätig und betreibt bislang erfolgreich und umfassend Forschungen in verschiedenen Regionen Afrikas, Asiens und Europas. Die einzigartige Konzentration archäologischer, naturwissenschaftlicher, restauratorischer und informationstechnologischer Kompetenzen verbunden mit bedeutenden Werkstätten, Laboren und Archiven, erlaubt es dabei, objektorientierte Forschung zur Archäologie der Alten Welt (Asien, Afrika, Europa) von den Anfängen der Menschheitsgeschichte bis in die Neuzeit zu betreiben.
Das LEIZA war bis zur Umbenennung zum 1. Januar 2023 international bekannt als Römisch-Germanische Zentralmuseum (RGZM) und wurde im Jahr 1852 auf Beschluss der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in Mainz gegründet. www.leiza.de