Ressourcennutzung als Auslöser gesellschaftlicher Veränderungen
Das vormoderne Industrierevier der Osteifel
Eine besondere zeitliche Tiefe und das Vorhandensein mehrerer Wirtschaftszweige machen die Osteifel zu einem besonders geeigneten Fallbeispiel auch für die Untersuchung gesellschaftlicher Prozesse. So wurde hier gleich zu Beginn des Getreideanbaus vor 7000 Jahren erstmals Basaltlava zur Herstellung von Reib- und Mühlsteinen gewonnen. Römisches Militär erschloss den Tuffstein des Laacher See-Vulkans als Baumaterial. Im 19. Jahrhundert ließ die Erfindung des Bimssteins Bauern zu Unternehmern werden. Heute besetzt die Steinindustrie nur mehr eine ökonomische Nische, deren Erfolg vor allem von Knowhow und umsichtiger Rohstoffnutzung abhängt.
Über diesen langen Zeitraum hinweg und somit unter ganz unterschiedlichen ökonomischen, politischen und sozialen Bedingungen gibt es dennoch Konstanten, die immer wieder einen Wandel einleiteten. Dies sind an erster Stelle Erfindungen und Innovationen, aber auch die Einflussnahme übergeordneter Mächte. Sie setzten nachhaltige wirtschaftliche Prozesse in Gang, die jeweils zu einer intensivierten Rohstoffnutzung führten. Eine solche intensive Ausbeute der Lagerstätten mit überregionaler Vermarktung der fertigen Produkte definieren wir als vormoderne Industrien. Deren Folgen für Individuen und menschliche Gemeinschaften genau zu benennen und einzuordnen, ist Ziel des Projekts.
Wir stellen zunächst die Frage, welche Folgen genau die industrielle Aktivität der Antike und des Mittelalters hat. Wie entscheidet die Teilhabe an ihr über Status und Wohlstand des Einzelnen? Wie wandelt sich die Bevölkerungs- und Sozialstruktur von Gemeinwesen, insbesondere durch zunehmende Arbeitsteilung, Arbeitsmigration und diversere Berufsbilder? In welchem Maß leisten frühe Industrien der Herausbildung neuer sozialer Gefüge Vorschub, sind doch arbeitsteilige Gesellschaften Voraussetzung für das organisierte Zusammenleben in Städten und Staaten?
Besitzverhältnisse manifestieren sich teils direkt in der Organisation von Steinbrüchen und Bergwerken, teils indirekt in der Herausbildung neuer Schichten von Fachleuten und Unternehmern. Profiterwartungen können die Bereitschaft zu hohen Investitionen auslösen, die sichtbaren Ausdruck in Produktionsanlagen, Infrastrukturen und Sicherungssystemen finden. Nicht zuletzt sind der Zugriff auf mineralische Rohstoffe und die Kontrolle über deren Ausbeute Machtfaktoren, die auch politischen Zwecken dienten.
Im vormodernen Industrierevier der Osteifel beobachten wir also frühzeitig gravierende gesellschaftsverändernde Faktoren, die teilweise schon in vorrömischer Zeit ihren Anfang nahmen. Diese wollen wir sodann mit entsprechenden Prozessen in der Moderne (des Industriezeitalters) kontrastieren, um Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen frühen, vormodernen Industrien und der Industrialisierung herauszuarbeiten. Gerade mit Blick auf einen Industriebegriff, wie er vorwiegend in der wirtschaftshistorischen Forschung vertreten wird, könnte dies von Bedeutung sein. Danach setzt Industrie einen hohen Mechanisierungsgrad voraus und ist daher zwangsläufig auf das Industriezeitalter beschränkt. Die daraus resultierenden gesellschaftlichen Wandlungsprozesse werden als neu und einzigartig begriffen. Im Projekt möchten wir einen Gegenentwurf zu diesem Industriebegriff formulieren und zeigen, dass Industrie bereits in Antike und Mittelalter das Leben der Menschen veränderte.
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Projektzeitraum
- Seit 01.2021