Deponierungen im Mittel-Dnjepr-Gebiet an der Wende vom 7. zum 8. Jh. n. Chr.
Soziale Praktik(en) in kulturellen und landschaftlichen Übergangszonen
An der Wende vom 7. zum 8. Jh. n. Chr. wurden im Mittel-Dnjepr-Gebiet zahlreiche Metallgegenstände vorwiegend in Form von Schmuck und Kleidungsbestandteilen (Fibeln, Gürtelgarnituren, Arm- und Halsringe, diverse Anhänger und Beschläge etc.) ohne erkennbaren Grab- oder Siedlungskontext im Boden deponiert (folgend „Deponierungen“). Der westeuropäischen archäologischen Forschung ist dieser frühmittelalterliche Deponierungshorizont insbesondere durch den silberreichen „Schatzfund von Martynovka“ (Čerkas’ka Obl., Ukraine) bekannt. Die meisten der aktuell bekannten Fundkomplexe bestehen aber aus gemischtem Edel- und Buntmetallinventar des ausgehenden 6. bis frühen 8. Jh. n. Chr. Anhand des deponierten Typenspektrums werden im Dissertationsprojekt regionale und überregionale Austauschbeziehungen der deponierenden Personengruppen –die vom Pontischen Steppenraum im Südosten über die Pannonische Tiefebene im Südwesten und das Baltikum im Nordwesten bis zum Mittelrussischen Landrücken im Nordosten reichten – aufgezeigt und mithilfe der Methoden der sozialen Netzwerkanalyse und der GIS-gestützen Modellierung quantitativ und qualitativ ausgewertet.
Die Deponierungen sind hauptsächlich im Mittel-Dnjepr-Becken im Einzugsgebiet der linken Zuflüsse Desna und Worskla verbreitet. Dieses Areal überschneidet sich im 6. bis ausgehenden 7. Jh. n. Chr. mit den Fundplätzen der slawischen archäologischen Koločinskaja- und der Pen՚kovskaja-Kultur. Bereits eine einfache Kartierung der Fundplätze verdeutlicht jedoch, dass die Deponierungen nicht im gesamten Verbreitungsgebiet dieser beiden Kulturen vorkommen, sondern sich im Waldsteppengürtel konzentrieren. Südlich davon grenzen am Ende des 7./Anfang 8. Jh. n. Chr. die goldführenden Fundkomplexe an, die entlang der naturräumlichen Grenze zum Steppenraum das reiternomadische Pendant zu den slawischen Deponierungen bilden. Reiternomadische Elemente, insbesondere bestimmte Artefakttypen, lassen sich in einigen dieser slawischen Deponierungen beobachten. Die vergleichenden typochronologischen Untersuchungen des deponierten Materialspektrums, die im Mittelpunkt zahlreicher Studien (insb. von Vlasta Rodinkova, Olga Ščeglova und Jaroslav Volodarec՚՚-Urbanovič) standen, versuchen zwischen „ost-germanischem“, „provinzialrömischem“, „donauländischem“ und „baltischem“ Einflussbereich zu differenzieren, was auf ein weiträumiges Austauschnetzwerk der lokalen Akteure hindeutet.
Metalldeponierungen als absichtliche Niederlegungen, die einer bewussten Material- und Standortselektion durch die entsprechenden Personengruppen unterlagen, dienen im Dissertationsprojekt als Quelle, um materielle und ideelle Wertvorstellungen dieser Gruppen zu untersuchen. Dabei wird auf die Betrachtung der Austauschprozesse als eines bedeutenden Kriteriums zur Konstruktion sozialer Phänomene fokussiert. Die Praktik des „Deponierens“ ist somit durch die Interaktionen in sozialen und physischen Räumen charakterisiert, wobei die Rolle des Waldsteppengürtels als einer landschaftlichen (Wald und Steppe), kulturellen (slawische und reiternomadische Kulturen) und ökonomischen (sesshafte und nomadische Lebensweise) Übergangs- und/oder Kontaktzone bei der Rekonstruktion regionaler Entwicklungen in den Fokus gesetzt wird.
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- I. Utkina-Wöhrl, Umgestaltung („Upcycling“) von Prestigegütern? Beobachtungen an ausgewählten Schmucksets aus dem Fundkomplex von Mala Pereščepina, Poltavs՚ka Oblast, Ukraine (7. Jh. n. Chr.). In: Orsolya Heinrich-Tamáska/Matthias Becker/Matthias Hardt/Harald Meller (Hrsg.), Verwerten – Verarbeiten – Verformen: Recycling von Bunt- und Edelmetall von der Bronzezeit bis zum Mittelalter 4. Internationaler Workshop des Netzwerks Archäologisch-Historisches Metallhandwerk, 15.–17.05.2019 in Leipzig/Halle (Saale) Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 30 (Halle a.d. Saale im Druck), 291-323.