Forschungsprojekt

"Monumentalizing Cattle?" Die Rinderdeponierungen aus der Zeit der Trichterbecher- und Kugelamphorenkultur

Dissertationsprojekt im Bereich Human-Animal-Studies

Zusammengefasst

Zur Zeit des Spät-/Endneolithikums bzw. der Kupferzeit in Europa (ca. 3800-2200 v. Chr.) war die Opferung und anschließende Beerdigung von vollständigen Rindern oder Rinderteilen, ohne Nutzung derer Weichteile und Knochen, eine gängige Praxis bei verschiedenen archäologischen Gruppen. Das Phänomen dieser sogenannten "Rinderbestattungen" wurde in mehreren nicht direkt miteinander verbundenen Teilen Europas beobachtet. Das an der Christian-Albrechts-Universität Kiel angesiedelte Promotionsvorhaben beschäftigt sich mit der Vergleichbarkeit und der Bedeutung dieser Befundgattung.

Das Projekt beschäftigt sich mit dem Phänomen der sogenannten "Rinderbestattungen" am Übergang des späten Neolithikums zur Bronzezeit in Europa. Die wahrscheinlich rituelle Deponierung vollständiger oder zumindest teilweise vollständiger Rinder ohne Verwertung von deren Fleisch und Knochen kann für den Zeitraum von etwa 3800 bis 2200 v. Chr. in verschiedenen Gegenden vor allem Zentraleuropas beobachtet werden. Gehäuft treten Rinderdeponierungen im Norden Dänemarks, in Zentralpolen, im Karpathenbecken, sowie im Mittel-Elbe-Saale Gebiet und den angrenzenden Räumen in Erscheinung. Die meisten Befunde können der Trichterbecher- und der Kugelamphorenkultur beziehungsweise deren Regionalgruppen, sowie der Badener Kultur zugewiesen werden. Von der Fundregion Dänemark einmal abgesehen, weisen die jeweiligen Fundplätze und Befunde zum Teil eine hohe Variabilität auf:

  • Anzahl der niedergelegten Rinder pro Fundplatz und Befund schwankt stark
  • Rinderdeponierungen wurden in unterschiedlichen Fundplatztypen angelegt
  • Bezug zu menschlichen Bestattungen ist unterschiedlich
  •  Aufbau und Struktur der Befunde sind vielfältig
  • Zustand der Rinder bei der Niederlegung unterscheidet sich zum Teil erheblich
  • Scheinbar existierten keine einheitlichen Auswahlkriterien bezüglich Geschlecht und Alter der Rinder
  • Beifunde von Keramik, Artefakten aus Stein- und organischen Materialien oder kombinierte Niederlegungen mit anderen Spezies können vorkommen, scheinen aber keinen einheitlichen Regeln zu folgen

Trotz dieser Unterschiede werden sämtliche Befunde oft als Ergebnis einer paneuropäisch verbreiteten Glaubensvorstellung gesehen, deren Ursprünge meist in Südosteuropa oder dem Nahen Osten vermutet werden. Als zentrale Bestandteile dieser Glaubensvorstellung werden Sonne, Zuggespanne, Rad und Wagen herausgestellt. Offensichtlich ist, dass Rinder von verschiedenen Gruppen als geeignetes Medium für kultische Handlungen angesehen wurden. Aus welchen Gründen das Rind diese Rolle einnahm und ob diese zeit- und gruppenübergreifend tatsächlich die gleichen waren, ist nicht eindeutig belegt. Die Arbeit versucht chronologie- und kulturübergreifende Gemeinsamkeiten, Unterschiede und mögliche Befundgruppen herauszuarbeiten, um die zeitliche und räumliche Entwicklung des Phänomens skizzieren zu können.

Im Fokus steht dabei die Frage, ob sich alle Befunde tatsächlich mit der Hypothese eines singulären Ursprungs erklären lassen, oder es sich nicht eigentlich um den Ausdruck mehrerer unabhängig voneinander entstandener Phänomene handelt.

Zudem stellen sich Fragen zur Wirkung der Deponierungen auf das Zusammenleben innerhalb und zwischen den agierenden Gruppen. Die archäologisch gut fassbare, wiederholte, gemeinschaftliche Praxis der Niederlegung vollständiger oder fast vollständiger Rinder und deren Fundkontexte erlauben Rückschlüsse auf gemeinschaftsstiftende oder -spaltende Prozesse, wie die Aushandlung gemeinsamer Ideen- und Wertevorstellungen oder die Ausdifferenzierung funktionaler und sozialer Rollen. Ob die Deponierungen dabei zur De- oder Stabilisierung sozialer Gefüge beitrugen, ist eine ebenfalls noch offene Fragestellung.

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Kontakt

Stefan Hartmann M.A.
+49 4621 813-354
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Projektzeitraum

Seit 10.2023

  • St. Hartmann, The complex phenomenon of the Middle to Final Neolithic "cattle burials" of Central Europe. Beitr. z. Archäozool. u. Prähist. Anthropol. XIII, 2024, 49-79 (Druck in Vorbereitung).

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