Forschungsprojekt

Human-Animal Studies

Synthesen zu Tier-Mensch-Beziehungen in zeit-, raum- und fächerübergreifender Form

Zusammengefasst

Wir forschen an der Schnittstelle zwischen den philosophisch-ethisch ausgerichteten Human-Animal-Studies mit Verankerung in den Geisteswissenschaften und der „Social Zooarchaeology“ im Bereich der Naturwissenschaften. Dabei gilt es, vom anthropozentrischen Weltbild Abstand zu nehmen und Tiere als eigenständige Akteure, nicht Objekte, wahrzunehmen. Unsere zeit-, raum- und fächerübergreifenden Forschungen zielen darauf ab, zu breit angelegten Synthesen über das Verhältnis von Tier und Mensch in der Geschichte zu gelangen, wobei auch eine Anbindung an die Moderne hergestellt wird. Durch seine Verbindung mit aktuellen wildbiologischen und tierrechtlichen Fragen hat unser Projekt unmittelbare gesellschaftliche Relevanz.

Im FF2 wird das Zusammenleben in komplexer werdenden sozialen Gefügen betrachtet, wobei es nicht nur um zwischenmenschliche Beziehungen geht, sondern auch um das Verhältnis zwischen Tier und Mensch. Dabei erheben die Human-Animal Studies den Anspruch, vom anthropozentrischen Weltbild Abstand zu nehmen und Tiere als eigenständige Akteure, nicht Objekte, wahrzunehmen. Dieser Forschungszweig hat seinen Ursprung in dem Verlangen nach alternativer Lebensgestaltung im Gefolge der 1968er Bewegung, womit auch Tierschutz an Bedeutung gewann. Ab den 1990er Jahren werden Human-Animal Studies zunehmend akademisch in unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Fächern, doch sie fassen erst in den letzten beiden Jahrzehnten in den Naturwissenschaften Fuß als “Social Zooarchaeology”. Damit steht diese Betrachtungsweise noch an den Anfängen in unserem Fach. Das bietet die Möglichkeit, ein weites Forschungsfeld zu identifizieren und strategisch Forschungen anzustoßen. Archäologie und Archäozoologie kommen dabei Sonderstellungen zu, weil nur sie Jahrtausende und große Räume überblicken. Daraus folgt unser Anspruch, Vertreter*innen anderer Fächer für jüngere Zeiträume, bis hin zur Jetztzeit, einzubinden, um alle denkbaren Informationsquellen einzubeziehen; Bildzeugnisse, Annalen/Chroniken, juristische und verwaltungsrechtliche Texte, Literatur und Orts-/Personennamen. Die Human-Animal Studies sind zudem ein Wissenschaftsfeld, das unmittelbare gesellschaftliche Bedeutung hat, man denke nur an die vielfältigen Aspekte des Tier-, Natur- und Artenschutzes.         

Im Rahmen vom FF2 beschäftigt uns die Fragestellung, ob eine zunehmende Komplexität der Gesellschaft zu einer wachsenden Komplexität der Mensch-Tier-Beziehung bzw. zu einer gesteigerten Unterscheidung von Tier und Mensch (also „Konstruktion von Differenz“) führt?

Unser Forschungsziel sind breit angelegte Synthesen zu Mensch-Tier-Beziehungen der Vergangenheit, wobei aber auch eine Anbindung an die Moderne hergestellt wird.

Methodisch haben Archäozoologie und Archäologie den Vorrang, diachron bzw. für einzelne Epochen, unter Hinzuziehung der Naturwissenschaften besonders für die Steinzeit und der Geisteswissenschaften vor allem für die Eisenzeit und das Mittelalter. Erst diese breite Aufstellung über Fachgrenzen hinweg führt zu Synthesen, die deutlich mehr leisten als das, was Archäo(zoo)logie oder andere Fächern für sich allein betrachtet zu leisten imstande sind.

  •  Teilen
  •  Link kopieren
  •  Artikel drucken

Projektzeitraum

Seit 01.2010

Unterstützung

DFG: Die Rolle von Vögeln im Kult während der Steinzeit zwischen Ostsee und Schwarzem Meer (DFG-Projektnummer 335674082) – Unterprojekt Exotenforschung DFG-Sachbeihilfe zum Projekt: „Kamele in Europa: Nutzungsgeschichte und menschliche Wahrnehmung“ (DFG-Projektnummer 541380987) – Unterprojekt Exotenforschung

  • Anna-Theres Andersen, ROOTS Cluster of Excellence (Universität Kiel)
  • Dr. Daniel Groß, Museum Lolland/Falster (Dänemark)
  • Prof. Dr. Ben Krause-Kyora (Universität Kiel)
  • Prof. Sigmund Oehrl, Archäologisches Museum / Universität von Stavanger (Norwegen)
  • Dr. Yevheniia Yanish, Akademie der Wissenschaften, Kyjiw (Ukraine)

  • K.-H. Gersmann/O. Grimm, On falconry and the question of its single or multiple invention. In: J. Schneeweiß/M. Nawroth/H. Piezonka/H. Schwarzberg (Hrsg.), Man sieht nur, was man weiß. Man weiß nur, was man sieht. Globalhistorische Perspektiven auf interkulturelle Phänomene der Mobilität. Festschrift für Hermann Parzinger zum 65. Geburtstag. Prähistorische Archäologie in Südosteuropa 33 (Rahden 2024), 503-516.
  • O. Grimm: European graves (c. 500-1000 AD) with raptor bones and raptor imagery revisited – on the different evidential values for the practice of falconry (im Druck)
  • U. Schmölcke/O. Grimm. 2024. "A Special Relationship – Aspects of Human-Animal Interaction in Birds of Prey, Brown Bears, Beavers, and Elk in Prehistoric Europe." Animals 14 (417): 1-27. doi: https://doi.org/10.3390/ani14030417
  • U. Schmölcke, U/E.A. Nikulina, 2022. Humans and their Relationship to Large Carnivores in Central Europe from Foragers to Modern Times: a Survey. In: Conard, N.J. et al. (eds.), The Homotherium Finds from Schöningen 13II-4: Man and Big Cats of the Ice Age. Propylaeum, Heidelberg, pp. 129–150.

 

Unsere Forschungen in Schleswig unter dem Dach der Human-Animal Studies haben sich auch dem Bär-Mensch-Verhältnis in zeit- und fächerübergreifender Form und mit besonderem Blick auf Nordeuropa zugewandt. Eine Tagung von 2019 führte zu einem deutlich erweiterten Buch (64 Artikel auf rund 1.200 Seiten), das im August 2023 unter Open Access Gold-Standard erschienen ist. Ausgangspunkte waren archäologische und zoologische Befunde und Funde, die erstmals in dieser Form zusammengetragen und ausgewertet wurden; von Darstellungen der Bärenjagd in steinzeitlicher Felskunst hin zu Bärenfigürchen der Eisenzeit und von Bärenknochendeponierungen mit vermutetem religiösem Hintergrund (Steinzeit: Kainsbakke in Dänemark; Eisenzeit: Frösö in Schweden) hin zu Bärenkrallen und vereinzelt Bärenfellen in hunderten eisenzeitlichen Gräbern.

Die breit angelegte Analyse unter Hinzuziehung anderer geisteswissenschaftlicher Diziplinen zeigte eindrucksvoll, dass der Bär gesellschafts- und zeitübergreifend wegen seiner Kraft und Menschenähnlichkeit geachtet wie gefürchtet war. Für Sámi und Finnen ist es belegt, dass Bärenjagd an ein dreiteiliges Zeremoniell geknüpft war; für die Jagd selbst, für ein Gastmahl mit dem erlegten Bären und für das Begräbnis des Bären bzw. das Aufhängen des Bärenschädels an einen geheiligten Baum. Dem Bär musste auf diese Weise Respekt gezeigt werden, um einem späteren Unheil vorzubeugen. Eine besondere Rolle des Bären zeigt sich ebenso großräumig in der Namengebung. „Bär“ in germanischen Sprachen leitet sich von „Der Braune“ ab. Dies ist nicht die eigentliche Bezeichnung des Tiers, sondern eine sekundäre Umschreibung. Es gab ein Namenstabu; wurde der Bär bei bei seinem richtigen Namen genannt, so die Befürchtung, konnte er dies verstehen und eine Katastrophe heraufbeschwören.

Schließlich hat sich die Heranziehung der Biologie als ganz wesentlich für das Verständnis vom Bären erwiesen. Es ist beispielsweise unzutreffend, dass der Bär ein eher minderbemitteltes Wesen ist, wie oft in Märchen dargestellt. Das Bären-Management heutiger Tag will sicherstellen, dass die Tiere in Nordschweden und Nordfinnland nicht in ihrem Bestand gefährdet sind.

Die Artikel und das Buch als solches sind frei zugänglich:
https://www.brepols.net/products/IS-9782503606118-1

Informiert bleiben!

Regelmäßige LEIZA-Updates im Posteingang: Jetzt unseren Newsletter abonnieren