"Wir untersuchen die Hypothese, dass die frühen Menschen die verschiedenen Steinrohstoffe gezielt nach bestimmten Verwendungszwecken der Werkzeuge auswählten", erklärt Projektleiterin Prof. Erella Hovers vom Archäologischen Institut der Hebräischen Universität Jerusalem und ergänzt: "Frühere Studien haben bereits eindeutige Zusammenhänge zwischen verschiedenen Werkzeugtypen und Rohstoffen festgestellt, aber die genaue Verwendung der Werkzeuge bleibt unbekannt. Unser Ziel ist es, die spezifische Verwendung durch die Analyse der verwendeten Rohstoffe und der Gebrauchsspuren zuzuordnen."
Analyse von Gebrauchsspuren in MONREPOS: Schlageinwirkungen an Knochen werden simuliert
Eine Reihe von Untersuchungen im spezialisierten Labor für Gebrauchsspurenforschung und kontrollierten Experimenten (Laboratory for Traceology and Controlled Experiments, TraCEr) in MONREPOS, einem weiteren Standort des LEIZA, geht dem Verwendungszweck der Schlagwerkzeuge mit kontrollierten Experimenten nach. Hierzu wurden die entsprechenden Rohstoffe auf Schlageinwirkungen und Aufprallbewegungen an Knochen getestet. Teamkollege Dr. Eduardo Paixão fasst zusammen: „Unsere vorläufigen Daten helfen uns, die Gebrauchsspuren auf den unterschiedlichen Gesteinsmaterialien der altsteinzeitlichen Funde zu charakterisieren und herauszufinden, welchen Vorteil der jeweilige Rohstoff für welche spezifische Verwendung haben könnte. Um den finalen Verwendungszweck zu bestimmen, untersuchen wir die herbeigeführten Schadensmuster in der inneren Struktur des Gesteinsmaterials mit dem Computertomographen.“
Kooperationspartner Dr. Sören Tholen ist Postdoktorand am Institut für Geowissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und gibt einen Einblick in die Beschaffenheit der Rohstoffe: „Vorläufige Beobachtungen aus den CT-Scans bestätigen, dass sich die verschiedenen Materialien unterschiedlich verhalten: Vulkanische Schlacke (engl.: scoria) ist zum Beispiel ein sehr poröses Material, das beim Aufprall verdichtet wird. Basalt kann hingegen viel dichter sein. Durch die im Gestein vorhandene Risse und eingeregelten Minerale kommt es hier häufig zu einem Bruch entlang einer klar erkennbaren Vorzugsrichtung.“ Endgültige Ergebnisse zu den Untersuchungen werden im nächsten Jahr publiziert.
3D-Computertomograph seit Sommer 2023 am LEIZA im Einsatz
Der 3D-Computertomograph im Wert von 1,3 Millionen Euro bietet dem archäologischen Forschungsinstitut der Leibniz-Gemeinschaft eine weitere zerstörungsfreie Untersuchungsmethode. Größere Objekte von bis zu 2,5 Metern, einem Durchmesser von maximal einem Meter und dem Gewicht bis zu 100 kg können mit einer Auflösung von 100 Mikrometern im LEIZA gescannt werden. „Mit dem 3D-CT sehen wir beispielsweise, was sich in einer Blockbergung befindet, um zu entscheiden, ob die Artefakte innerhalb des Erdklumpens restauriert oder nur konserviert werden sollen. Durch das Verfahren ist es uns nun auch möglich, in verschlossene Gefäße zu schauen, ohne sie zu öffnen. Damit schützen wir das Objekt vor weiteren Schäden“, fasst Dr. Ivan Calandra, Laborleiter für bildgebende Verfahren am LEIZA, zusammen. Eine weitere wichtige Anwendung besteht in der Rekonstruktion von vergangenen Herstellungstechniken sowie der Dokumentation von Befunden und Artefakten durch zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden. Ziel ist es, diese Informationen aus der Forschung der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Das CT-System, das sich im Untergeschoss des LEIZA befindet ist von der Firma Waygate Technologies geliefert worden. Das hier verwendete Modell Phoenix V|tome|x L450 ist besonders leistungsstark und daher in der Lage, mittels innovativer industrieller Röntgentechnologie auch vergleichsweise große Objekte zu scannen. Neben der Untersuchung von Objekten ermöglicht das System auch die Digitalisierung von Exponaten, die in den letzten Jahrzehnten gesammelt wurden, und liefert aufgrund der dreidimensionalen Informationen neue Erkenntnisse.
Projektinformationen:
Um das Wissen über diese frühe Entwicklungsphase von Werkzeugen zu erweitern, widmet sich das Forschungsprojekt The stone tool technology of the Acheulian culture and the origins of Human Decision-making processes dem neu entdeckten archäologischen Fundortkomplex im äthiopischen Hochland, Melka Wakena, der mit der Acheuléen-Kultur in Verbindung gebracht wird. Die Untersuchungen fokussieren sich dabei auf die physikalischen Eigenschaften und Nutzungsprozesse von Schlagwerkzeugen vor 1,6 Millionen Jahren. Das Projekt in Melka Wakena wird von Prof. Dr. Erella Hovers und Dr. Tegenu Gossa aus dem Archäologischen Institut der Hebräischen Universität Jerusalem in Israel geleitet. Weitere Kooperationspartner neben dem LEIZA sind das Institut für Geowissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und das Interdisciplinary Center for Archaeology and Evolution of Human Behaviour der Universität Algarve in Portugal. Das Projekt wird von der Fritz Thyssen Stiftung unterstützt.
Weiterführende Links:
- Archäologisches Institut der Hebräischen Universität Jerusalem https://archaeology.huji.ac.il/
- Institut für Geowissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz https://www.geowiss.uni-mainz.de/tektonik-und-strukturgeologie/
- Das interdisziplinäre Zentrum für Archäologie und Evolution des menschlichen Verhaltens an der Universität der Algarve: https://www.ualg.pt/en/interdisciplinary-centre-archaeology-and-evolution-human-behaviour
- MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution: https://monrepos.leiza.de/
- Labor für Gebrauchsspurenforschung und kontrollierte Experimente in MONREPOS, Neuwied/ Laboratory for Traceology and Controlled Experiments,(TraCEr): https://www.leiza.de/forschung/infrastrukturen/labore/tracer
- Plattform für bildgebende Verfahren im LEIZA Mainz/ Imaging Platform at LEIZA, (IMPALA): https://www.leiza.de/forschung/infrastrukturen/labore/impala
Herstellerlinks:
- Industrielle Computertomographie von Waygate Technologies:
ww.waygate-tech.com/CT - Das CT_System Phoenix V|tome|x L450: https://www.bakerhughes.com/waygate-technologies/industrial-radiography-and-ct/industrial-3d-precision-metrology-ct/phoenix-vtomex-l450
Leibniz-Zentrum für Archäologie (LEIZA)
Das LEIZA erforscht als Leibniz-Forschungsinstitut und -museum für Archäologie den Menschen und seine Entwicklung auf Basis materieller Hinterlassenschaften aus drei Millionen Jahren zeit- und raumübergreifend. Die daraus gewonnenen grundlegenden Erkenntnisse verhelfen zum besseren Verständnis menschlichen Verhaltens und Handelns und der Entwicklung von Gesellschaften. Damit bereichert das LEIZA das Wissen zum Menschen um die archäologische Perspektive und schafft wesentliche Grundlagen für die Reflexion der Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft. Mit der Archäologie versteht das LEIZA den Menschen in den Zusammenhängen und teilt die gewonnenen Erkenntnisse im internationalen Dialog. Das LEIZA ist weltweit tätig und betreibt bislang erfolgreich und umfassend Forschungen in verschiedenen Regionen Afrikas, Asiens und Europas. Die einzigartige Konzentration archäologischer, naturwissenschaftlicher, restauratorischer und informationstechnologischer Kompetenzen verbunden mit bedeutenden Werkstätten, Laboren und Archiven, erlaubt es dabei, objektorientierte Forschung zur Archäologie der Alten Welt (Asien, Afrika, Europa) von den Anfängen der Menschheitsgeschichte bis in die Neuzeit zu betreiben. Als eines von acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft verbindet das LEIZA exzellente Wissenschaft mit Ausstellungen und ist mit seinem Bildungsauftrag gleichzeitig ein Ort des Dialoges mit der Öffentlichkeit.
Bis zur Umbenennung zum 1. Januar 2023 international war das LEIZA bekannt als Römisch-Germanische Zentralmuseum (RGZM) und wurde im Jahr 1852 auf Beschluss der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in Mainz gegründet. www.leiza.de
MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution
MONREPOS ist Museum und Forschung zugleich. Als Außenstelle des Leibniz-Zentrums für Archäologie in Mainz (LEIZA) wird im Schloss Monrepos seit über 30 Jahren geforscht. Das Forschungszentrum ist eng mit dem Institut für Vor- und frühgeschichtliche Archäologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verbunden.
Wir tragen ein millionenschweres Erbe in uns: über 2,5 Mio. Jahre Evolutionsgeschichte.
Der längste und prägendste Abschnitt unserer Entwicklung vollzog sich in der frühesten Menschheitsgeschichte. Deshalb erforscht MONREPOS die Alt- und Mittelsteinzeit. Die Forschung lebt vom Miteinander, vom Fragen, Anstoßen, Diskutieren. Nicht zuletzt von der Kritik und von Toleranz. Sie braucht Neugierige, Kreative und Mutige - ob in Wissenschaft, Ehrenamt, Presse oder als Besucher. MONREPOS versteht sich als Plattform all derer, die die Entwicklung unseres Verhaltens und die frühe Menschheitsgeschichte verstehen möchten.
https://monrepos.leiza.de/