Forschungsprojekt

Das spätbandkeramische Massengrab von Kilianstädten, südliche Wetterau

Zusammengefasst

Südlich von Kilianstädten wurde 2006 beim Bau einer Umgehungsstraße ein jungsteinzeitliches Massengrab der frühesten bäuerlichen Gesellschaften in Mitteleuropa entdeckt. Nach den Keramikverzierungen werden sie unter dem Oberbegriff „Linienbandkeramische Kultur“ (LBK) zusammengefasst. Die Vorfahren dieser frühen Siedler kamen letztlich aus dem Nahen Osten. Im Zuge eines mehrere Jahrhunderte dauernden Prozesses breitete sich die neue Technologie und Wirtschaft über Griechenland und den Balkan zunächst bis in das Karpathenbecken und dann von dort ab 5400 v. Chr. bis an den Rhein aus. Das Projekt wirft innerhalb der Forschungen am RGZM ein Schlaglicht auf die Umbruchsprozesse am Ende des Altneolithikums.

Die frühen Bauern rodeten den noch fast unberührten Urwald und errichteten Weiler und Dörfer mit sogenannten Langhäusern. Auch in Kilianstädten sind die Reste dieser Langhäuser gefunden worden, sie streuen über den gesamten Abhang und zeigen, dass die Umgebung des Fundplatzes einst recht dicht besiedelt gewesen sein muss. Einige der Siedlungen waren von Grabenanlagen umgeben, so auch in Kilianstädten.

Die Skelette lagen im Torbereich dieser 2 Hektar umfassenden Grabenanlage. Hier hatte man wenigstens 26 Leichen von überwiegend jungen Erwachsenen und Kindern entsorgt und anschließend mit Siedlungsabfall überdeckt. Jugendliche und jüngere Frauen waren jedoch im Befund unterrepräsentiert, möglicherweise sind sie verschleppt worden.

Intentionelle Folter?

Zahlreiche Frakturen an den Schädeln zeugen von stumpfer oder halbscharfer Gewalteinwirkung, etwa durch Dechsel und Knüppel. Eine auffallend hohe Anzahl von Individuen hatte zudem deutliche Frakturen an Schien- und Wadenbeinen. Diese Spuren lassen auf intentionelle Folter oder Verstümmelung der Opfer schließen, vielleicht um eine Flucht zu verhindern. Auch bei Kindern wurden die Beine zerschlagen. Die wenigen Frakturen der Unterarme sind als Abwehrverletzungen zu deuten.

Die Toten wiesen zeittypische Leiden wie Vitamin C-Mangel, Osteomyelitis (Knochenmarksentzündung) und Tuberkulose auf. Diese können aber nicht als Indikator für eine Mangelsituation gewertet werden. Aufgrund von Radiokohlenstoffdatierungen (14C) fällt der Befund grob in einen Zeitraum zwischen 5200 und 4850 v. Chr., nach der Keramik genauer um 5000 v. Chr. Er datiert somit in die späte Phase der Bandkeramischen Kultur. In der Verfüllung des Grabens lagen zwischen den Skelettelementen eine zerbrochene Beilklinge sowie zwei knöcherne Pfeilspitzen, die als mögliche Tatwaffen in Frage kommen.

Das Massaker von Kilianstädten fällt in eine Zeit, aus der mehrere Massengräber bekannt sind. Einige, wie etwa Asparn-Schletz im österreichischen Burgenland oder Talheim bei Heilbronn weisen eindeutige Hinweise auf Massaker auf. Andere, wie etwa Herxheim in der Südpfalz, zeigen eher Hinweise auf eine stark ritualisierte Gewalt, deren Bestandteil auch Anthropophagie (Kannibalismus) gewesen sein mag.

Gesellschaftliche Veränderung

Diese Nachweise deutlicher zwischenmenschlicher Gewalt stehen am Ende einer bereits früher einsetzenden Tendenz zu gesellschaftlicher Konformität und gar Rigidität. Hierfür sprechen auch die Grabenanlagen, deren Funktion in der Forschung zwar umstritten ist, die aber unserem Erachten nach durchaus Verteidigungsaspekte aufweisen und zudem sichtbare Zeichen territorialen Anspruchs gewesen sein mögen.

Alles dies spielt sich in einem Zeitraum ab, in dem die Bevölkerungsdichte erheblich zunimmt, und zumindest einige der fruchtbaren Landwirtschaftsregionen – wie etwa die Wetterau – sehr dicht besiedelt waren. Mit ausschlaggebend für diese Bevölkerungszunahme dürfte eine Tendenz zu trockeneren Klimaverhältnissen gewesen sein, wie sie in verschiedenen Klimadaten nachgewiesen werden konnte. So wird deutlich, dass sich diese frühen bäuerlichen Gesellschaften eher in guten Zeiten in Richtung vermehrtem Konfliktpotential bewegt hatten, hierfür also im Wesentlichen interne soziale und politische Prozesse ausschlaggebend waren.

Um 5100 v. Chr. folgt eine Periode mit starken, sehr kurzfristigen Klimafluktuationen und einigen ausgesprochenen Dürrejahren. Diese Unsicherheiten verstärken möglicherweise den bereits vorher einsetzenden Trend zu gesellschaftlicher Rigidität, waren aber nicht der auslösende Faktor für das was danach passierte, nämlich der Ausbruch von gewaltsamen Konflikten und regelrechten Massakern an verschiedenen Orten in Mitteleuropa, von denen Kilianstädten nur einer ist. Als die unmittelbaren Motive für die brutale Gewalt zwischen ganzen Gemeinschaften sind Konflikte innerhalb von Siedlungen und Kleinregionen denkbar, um Territorien und politische Vormachtstellung, oder auch Ressourcen.

Erstaunlich ist allerdings, dass nach dem Massaker die Siedlung wieder genutzt wurde. Die Leichen wurden im Graben verscharrt und das Alltagsleben geht für noch etwa zwei Generationen weiter. Dann jedoch endet die Linienbandkeramische Kultur auch in der Wetterau und wird von den nachfolgenden mittelneolithischen Kulturen abgelöst.

Als Fallstudie dieses Forschungsthemas spielt Kiianstädten eine besondere Rolle, da anhand dieses Fundplatzes die Umbruchsprozesse am Ende des Altneolithikums schlaglichtartig beleuchtet werden.

Informationstafel vor Ort

Gemeinsam mit dem Regionalpark Hohe Straße und dem Regionalpark RheinMain sowie der Gemeinde Schöneck errichtete das RGZM direkt am Fundort eine Tafel mit den wesentlichen Informationen.

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Prof. Dr. Detlef Gronenborn
+49 6131 8885-129
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  • Ch. Lohr, Archäologische und anthropologische Untersuchungen zum spätbandkeramischen Massengrab von Schöneck-Kilianstädten (Main-Kinzig-Kreis, Hessen) (unpubl. Magisterarbeit 2013).
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