Forschungsprojekt

Ein antikes Industrierevier in der Südeifel

Technik-, Wirtschafts- und Siedlungsarchäologie der römischen Töpfereien bei Speicher

Zusammengefasst

Bei Speicher, Herforst und Binsfeld befand sich eines der großen Töpferzentren der römischen Nordwestprovinzen. Die Vorarbeiten zu dem aktuellen DFG-Projekt haben gezeigt, dass auf einer Fläche von etwa 4 km2 mit bis zu 240 Töpferbetrieben zu rechnen ist, die vom 2. bis in das 5. Jh. große Mengen an Keramik für einen weit über den lokalen Markt hinaus reichenden Exportraum produzierten. Funde exportierter Speicherer Keramik reichen von der Nordsee bis zur Schweiz. Offensichtlich bestand hier, im Umfeld der Metropole Augusta Treverorum und späteren Kaiserresidenz Trier, ein römisches Industrierevier.

Übergeordnetes Projektziel ist eine umfassende Bewertung der wirtschaftlichen Bedeutung des römischen Töpferbezirks bei Speicher im Kontext antiker Industriereviere.

Bekannt sind die römischen Töpfereien schon seit langem, doch verhinderten die enorme Funddichte und Ausdehnung – eigentlich eine exzellente Quellenlage – bis dato eine umfassende Untersuchung. Nunmehr ermöglicht eine Kombination aus modernen Prospektionsmethoden, naturwissenschaftlichen Analyseverfahren, geographischen Informationssystemen und archäologischen Studien erstmals eine systematische Aufarbeitung des gesamten Töpfereibezirks und seiner Einbettung in die Siedlungslandschaft.

Dieser methodisch breit gefächerte Ansatz soll genutzt werden, um die wirtschaftliche Bedeutung Speichers in römischer Zeit zu bewerten. Dabei stehen nach der Rekonstruktion des Töpferzentrums und seiner Organisationsstrukturen in Raum und Zeit die Wechselwirkungen zwischen Produktion, Gesellschaft und Umwelt im Mittelpunkt des Projektes. Zugleich werden die Voraussetzungen für künftige Studien zum Exportraum geschaffen.

Das Projekt ist unmittelbar in die langjährigen Forschungen zu vormodernen Industrierevieren am RGZM eingebunden. Gerade die über den lokalen Markt hinaus agierenden, exportorientierten Reviere sind dafür geeignet, die Leistungsfähigkeit antiker Wirtschaft aus archäologischer Sicht zu bewerten. Nur so können Konjunkturzyklen im Römischen Reich über längere Zeiträume herausgearbeitet werden. Dies hilft uns, gegenwärtige (und vielleicht auch zukünftige) ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen auf verschiedensten Skalen besser zu verstehen. Wichtige Aspekte sind dabei die Wechselwirkungen zwischen Produktion und Gesellschaft sowie zwischen Produktion und Umwelt. So können sie dazu beitragen, das wirtschaftliche Denken und Handeln der jeweiligen Akteure (Produzent – Konsument und Individuum – Gruppe) zu erfassen. Die Großtöpfereien bei Speicher können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.

 

Geophysikalische Prospektion (Holger Schaaff, Benjamin Streubel)

Die räumliche Rekonstruktion des Töpfereiareals erfolgt auf freiem Feld mittels Geophysikalischer Prospektion. Vorrangige Ziele sind das Ermitteln der tatsächlichen Anzahl von Töpferbetrieben sowie deren Rekonstruktion anhand der festgestellten Anomalien. Untersucht wird eine Fläche von gut 100 Hektar im Westen und Norden von Herforst. Kriterien für die Festlegung der Fläche sind das Erfassen aller bislang bekannten Fundstellen mitsamt dem näheren Umfeld, die Geländetopographie und die grundsätzliche Eignung des Geländes für geophysikalische Prospektion. Darüber hinaus wurden Berichte von Anwohnern und Nutzern der Felder über auffällige Fundanhäufungen von Keramik, Ziegeln und Steinen berücksichtigt; dies gilt vor allem für den Bereich nördlich von Herforst. Die Prospektionen werden von der Firma Eastern Atlas – Geophysikalische Prospektion + Messtechnik, Berlin durchgeführt.

Analyse von LiDAR-Daten (Anja Cramer, Katrin Heyken, Benjamin Streubel)

Für die räumliche Rekonstruktion des Töpfereiareals im Wald werden LiDAR-Daten ausgewertet. In einem ersten Schritt wird ein 274 Hektar großes Areal untersucht, in dem alle bekannten Fundpunkte im Speicherer Wald enthalten sind. Zudem schließt es die Verdachtsstellen ein, die sich nach einer ersten Einsichtnahme in die LiDAR-Daten bereits ergeben haben. Vorrangige Ziele sind das Ermitteln der tatsächlichen Anzahl von Töpferbetrieben im Wald sowie die Rekonstruktion einer revierinternen Infrastruktur, sowohl in Bezug auf Wege und Straßen als auch auf eine Zuordnung der Betriebe zu vermuteten lokalen Tongruben.

Aufbauend auf diesen Arbeiten im Wald und den Ergebnissen der geophysikalischen Untersuchungen im Feld soll die Analyse der LiDAR-Daten rund um das dann erfasste Töpfereiareal ausgedehnt werden. Ziel ist es, eine Erklärung für das Fehlen von Siedlungsstellen in einem Radius von 1 bis 2 km um die bislang bekannten Töpfereien zu finden.

Begehung von Verdachtsflächen (Markus Helfert, Markus Scholz, Benjamin Streubel, Holger Schaaff)

Von Beginn an werden gezielte Begehungen der durch die geophysikalischen Prospektionen ermittelten Verdachtsflächen durchgeführt, mit dem Ziel, die chronologische Entwicklung des Töpferbezirks über die Jahrhunderte hinweg zu rekonstruieren. Sie finden als mehrtägige Übungen im Rahmen der curricularen Praxismodule der Goethe-Universität Frankfurt zweimal im Jahr statt; im Rahmen des Verbundes der Rhein-Main-Universitäten können auch Studierende anderer Hochschulen aufgenommen werden.

Studie 1 – Die Betriebseinheiten (Angelika Hunold, Lutz Grunwald, Holger Schaaff; Stefan Wenzel)

Ausgangspunkt der Forschungen sind die gesamten im RLMT aufbewahrten Dokumentationen und Funde zu den Töpfereien. Den Schwerpunkt bilden die Altgrabungen „Auf der Zweibach“, „An der Langmauer“ und „Pützchen“ sowie der Grabung von 2017. Studie 1 konzentriert sich auf die Rekonstruktion der einzelnen Töpferbetriebe in Raum und Zeit. Dabei stehen nicht nur technische Fragen, wie die nach Aufbau, Struktur und zeitlicher Entwicklung der Betriebe oder nach der Qualität und Quantität der Produktion im Mittelpunkt. Auch die gesellschaftlichen Aspekte wie Personalstruktur, Hierarchiebildung, Herkunft bzw. Migration und Spezialistentum werden herausgearbeitet. Schon jetzt spricht die geringe Größe der einzelnen Töpfereien für familiengestützte Handwerksbetriebe.

Studie 2 – Der Töpferbezirk und seine wirtschaftliche Entwicklung (Angelika Hunold, Holger Schaaff)

Die Studie wird im dritten Projektjahr durchgeführt; in sie fließen alle Ergebnisse der oben genannten Prospektionen und Analysen sowie der Studie 1 ein. Durch die geophysikalischen Prospektionen und die Auswertung der LiDAR-Daten kennen wir die räumliche Ausdehnung des Töpferbezirks und die revierinterne Infrastruktur, sowohl in Bezug auf das Wegesystem als auch auf die Lagerstätten. Durch die Begehungen von Verdachtsflächen und die Studie 1 kennen wir die Chronologie einzelner Betriebe, die hier zusammenfassend bewertet werden soll. Auch liegen Quantitätsberechnungen für einzelne Betriebe vor. Darüber hinaus ist durch das Forschungsdatenmanagement ein Abgleich mit Zwischenergebnissen der parallel laufenden Studien 3 und 4 sowie der letzten Begehungen von Verdachtsflächen gewährleistet.

Studie 3 – Das Umfeld des Töpferbezirks (Markus Scholz; Bastian Kaiser)

Die Forschungen zum römischen Industrierevier der Osteifel haben die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung bestätigt, die neben den eigentlichen Industrien auch das gesamte Umfeld und seine siedlungsgeschichtliche Genese mit einbezieht. Daher soll im Rahmen einer Dissertation am IAW der Universität Frankfurt die römische Besiedlung des Umlandes als siedlungsarchäologische Studie bearbeitet werden.

Den geographischen Rahmen bildet ein Radius von 5–8 km um das Töpfereiareal bei Speicher, was einem Arbeitsgebiet von etwa 100 km² Fläche entspricht. Nach Krausse (2006) und Seiler (2015) liegen dort mindestens fünf Villae rusticae, fünf Heiligtümer, 15 Bestattungsplätze und etwa 30 Siedlungsstellen unsicheren Charakters. Damit ist in der vergleichsweise dicht besiedelten antiken Kulturlandschaft ein Untersuchungsraum von hinreichender Tiefe gewählt, um die Wechselbeziehungen zwischen dem Töpfereigebiet und der umgebenden ländlichen Besiedlung substanziell beantworten zu können.

Studie 4 – Speicher im Vergleich mit ausgewählten Töpferzentren (Lutz Grunwald)

Diese Studie läuft parallel zur Studie 2. Speicher weist eine für römische Töpfersiedlungen eher ungewöhnliche Siedlungsstruktur auf. Ein Vergleich mit anderen Töpferzentren erscheint daher dringend notwendig, um die Stellung Speichers im Kontext römischer Großtöpfereien zu definieren. Die Gegenüberstellung untersucht Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit den Siedlungs- und Produktionsstrukturen ausgewählter Produktionsorte für Grob- und Feinkeramik im Römischen Reich, wie Weißenthurm, Mayen, Schwabmünchen oder Dambach-la-Ville. Eine besondere Rolle spielt auch das Verhältnis zum nahen Trier mit seiner eigenen Keramikproduktion.

Archäometrie (Susanne Greiff)

Die archäometrische Studie dient der geochemisch-mineralogischen Charakterisierung der bisher identifizierten sieben gängigen Warenarten der Speicherer Keramik. Sie kann sich auf das im Rahmen der LEIZA-Forschungen zu vormodernen Industrierevieren erfolgreich generierte Methodenspektrum (Xu 2012) stützen. Ziel ist es, die geochemisch-mineralogische Variabilität innerhalb einer Warenart sowie zwischen den einzelnen Warenarten an einem fokussierten Datensatz zu bestimmen, um die technik- und wirtschaftsarchäologische Forschung zu Infrastruktur und Absatzmärkten mit einer ersten materialwissenschaftlichen Datenbasis zu unterstützen. Diese Daten lassen sich, kombiniert mit der Materialtypologie und dem archäologischen Befund aus der Perspektive der chronologischen Differenzierung und Spezialisierung einzelner Betriebe und deren Verbindungen untereinander interpretieren. Außerdem wird eine Abgrenzung von Waren anderer Provenienz möglich.

Forschungsdaten-Management (Guido Heinz, Katrin Heyken, Allard Mees, Nico Wende)

Das Forschungsdaten-Management begleitet das Projekt kontinuierlich von Anfang bis Ende. Sämtliche Daten werden in einer zentralen Datenbank gespeichert und von allen Partnern über webbasierte Schnittstellen genutzt. Nach Abschluss des Projektes werden die Daten über das LEIZA-Datenportal als standardisierte OGC-Dienste und in einem WebGIS der wissenschaftlichen Gemeinschaft Open-Access zur Verfügung gestellt.

  • Rheinisches Landesmuseum Trier der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (Direktor Dr. Marcus Reuter; Dr. Lars Blöck; Dr. Sabine Faust; Dr. Ferdinand Heimerl M.A.; Dr. Florian Tanz).
  • Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt Abt. II, Archäologie und Geschichte der Römischen Provinzen mit der Forschungsstelle Keramik (Prof. Dr. Markus Scholz; Dr. Markus Helfert; Bastian Kaiser M.A.).

  • Hunold / H. Schaaff, Archäologie von ungeheurem Ausmaß in der Südeifel - Das römische Töpferzentrum bei Speicher. Die Eifel 114, 2019/4, 21-27.
  • Hunold / H. Schaaff, Archaeologie of unimagnied dimensions. The Roman potteries of Speicher and Herforst. Archéo-Situla 37, 2017 (2021) 55-68.

Informiert bleiben!

Regelmäßige LEIZA-Updates im Posteingang: Jetzt unseren Newsletter abonnieren