Forschungsprojekt

Goldblechfiguren im Fokus

Hauchdünne Goldbleche erzählen vom Umgang mit Katastrophen

Zusammengefasst

Weit über dreitausend winzige Figuren aus Goldblech stammen aus Skandinavien. Diese goldenen Plättchen sind materielle Zeugnisse der Reorganisation gesellschaftlicher Strukturen nach einer Klimakatastrophe. Doch wen oder was genau sie abbilden, welche Bedeutung sie für die Menschen hatten, wer sie warum herstellte und von wem sie wie und wofür genutzt wurden, ist unklar. Das Projekt möchte mit der Organisation und Publikation von Workshops durch ein Team internationaler Wissenschaftler*innen Antworten finden und das Rätsel um die Entstehung und Funktion der winzigen, faszinierenden Figuren zu lösen.

Wie reagieren Menschen auf Krisensituationen? Wie verarbeiten sie die Folgen von Naturkatastrophen, und wie können sie trotz widriger Umstände wieder an ältere Traditionen anknüpfen und zu neuen Gesellschaftsstrukturen finden? 

Eine Klimakatastrophe in der Mitte des 6. Jahrhunderts ist archäologisch in Nordeuropa als großer Einschnitt erkennbar: Siedlungskammern leerten sich, es entstanden stattdessen befestigte, stadtartige Anlagen; auf Runensteinen sind erstmals die Namen kriegerischer Herrscher überliefert; nicht länger wurde kostbarer, goldener Schmuck mit reichhaltigen Bilddarstellungen angefertigt, sondern die letzten Besitztümer wurden in der Erde vergraben – und nie wieder hervorgeholt. Dies waren Folgen der sogenannten Kleinen Spätantiken Eiszeit, deren Staubschleier mehrere Jahre lang im Norden Europas das Sonnenlicht abschirmten. Folgen waren Missernten, Hungersnöte, Krankheitsepidemien, Kriege. Doch gegen Ende des 6. Jahrhunderts scheint sich die Gesellschaft langsam wieder zu reorganisieren. Es tauchen neue Arten von Fundgattungen auf mit neuen Bildern, darunter viele Waffen bzw. Prunkwaffen als Zeugen der Bedeutung kriegerischer Konflikte, aber auch winzige goldene Plättchen mit figürlichen Darstellungen, die möglicherweise religiöse Bezüge haben: die Goldblechfiguren.

Im Jahr 2016 wurde im ZBSA das internationale, interdisziplinäre Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das sich dem Phänomen der Goldblechfiguren und den zahlreichen mit diesen faszinierenden Stücken verbundenen Ideen und Forschungsfragen widmet. Es wurde in enger Kooperation mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen des In- und Auslandes geplant und geleitet von Prof. Dr. Alexandra Pesch (Schleswig) und Dr. Michaela Helmbrecht (Fa. Archäotext, München). Ein erster Workshop mit 30 eingeladenen Spezialisten aus neun Nationen und ebenso vielen Fachbereichen fand im Oktober 2017 in Schleswig statt. Im Mittelpunkt stand hier die Ikonographie der Goldblechfiguren mit der Frage, inwieweit ihre Bilderwelt einheimisch ist oder Einflüsse anderer Kulturen bzw. Bildersprachen zeigt. Als Ergebnis wurde festgehalten, dass die neue Bildersprache tiefe Wurzeln in den älteren Tierstilen der Völkerwanderungszeit hat, also nicht von außen eingeführt worden ist. Die Publikation der Beiträge des Workshops mitsamt einer ausführlichen Synthese ist 2019 erschienen (s.u.).

Ziel der zweiten Phase des Projektes ist nun, die archäologischen Befunde der Goldblechfiguren genauer anzuschauen, um offene Forschungsfragen zu klären: Wozu dienten die hauchdünnen Folien? Durch wen wurden sie in größeren Mengen hergestellt, wie verbreitet, und wie und wofür wurden sie genutzt? Zu alldem gibt es viele Überlegungen, aber noch kaum Konsens der Forschung. Dies liegt auch daran, dass bisher zu wenig über ihre genaue Fundsituation bekannt ist.

Unser zweiter Workshop soll sich daher im April 2024 mit der Archäologie der Goldblechfiguren beschäftigen. Dazu sind die Ausgräber*innen aktueller wie auch älterer Grabungen eingeladen, außerdem die führenden Spezialist*innen Skandinaviens insbesondere aus den Fachbereichen Religionsgeschichte und Archäologie. Sowohl eine Revision der Ergebnisse alter wie auch die Vorstellung und Analyse moderner Ausgrabungen ist notwendig, um exaktere Angaben machen zu können über die Herstellung, Verwendung und Datierung der kleinen Bleche. Die Ergebnisse sollen wieder in einer Publikation festgehalten werden.

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Projektzeitraum

Seit 01.2016

  • Dr. Michaela Helmbrecht, München
  • Prof. Dr. Olof Sundqvist, Stockholm
    Prof. Dr. Torun Zachrisson, Uppsala

  • Pesch, Alexandra/Helmbrecht, Michaela. in print. Surviving the Crisis: Gold Foil figures as evidence of cultural and religious reorganisation. In: T. Zachrisson, S. Fischer (eds.), Changes. The Shift from the Early to Late Iron Age. Proceedings of the 69th Sachsensymposium, Stockholm 15.-19.9. 2017 (Neue Studien zur Sachsenforschung). Stockholm.
  • Pesch, Alexandra. in print. Manufacturing and treatment of gold foil figures. In: Technologies – Knowledges – Sustainability: Crafting societies in the first millennium CE. Tagungsband Sachsensymposion 2023. Stavanger.
  • Pesch, Alexandra/Helmbrecht, Michaela (eds.). 2017. Gold foil figures in focus. A Scandinavian find group and related objects and images from ancient and medieval Europe. Papers presented at an international and interdisciplinary workshop organized by the Centre for Baltic and Scandinavian Archaeology (ZBSA) Schleswig, October 23rd to 25th, 2017. Advanced studies in ancient iconography 1 (Schriften des Museums für Archäologie, Ergänzungsreihe 14). München: Verlag Friedrich Pfeil.
  • Pesch, Alexandra/Helmbrecht, Michaela (eds.). 2017. Gold foil figures in focus: synthesis and results. In: Gold foil figures in focus, s.o., S. 427-449.

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