Bestattung, Identität und Jenseits:Das Kammergrab von Poprad-Matejovce in seiner archäologisch-historischen Analyse und Interpretation
Das mehrjährige Forschungsprojekt zum Kammergrab von Poprad-Matejovce in der Nordost-Slowakei in enger Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Nitra befasst sich mit Fragen nach Grabriten Bestattungsvorgängen und mit diesen zusammenhängenden Identitätskonstruktionen für Angehörige der Nordkarpathischen Gruppe in der frühen Völkerwanderungszeit.
Das Grab wurde 2006 in der Nordost-Slowakei ausgegraben und zeichnet sich aus durch die einzigartige Erhaltung von Organik in Verbindung mit der modernen Ausgrabung, der digitalen Befundanalyse und die damit verbundenen Möglichkeiten weitreichender Rekonstruktionen von Grabkammern, Möbeln und Textilien, aber auch zu Vorgängen von Bestattung und Grablege sowie späterer Graböffnung, die den bisherigen Wissensstand zu Kammergräbern deutlich erweitern und den Befund zu einem Schlüsselfund von gesamteuropäischer Relevanz machen. Das Projekt war von Anfang an durch enge Verknüpfung von Konservierung, Restaurierung und Forschung sowie interdisziplinärer und internationaler Zusammenarbeit ausgerichtet, so arbeiteten mehr als 20 Wissenschaftler*innen aus sieben europäischen Ländern gemeinsam an den wissenschaftlichen Auswertungen. Grundlage für alle Arbeiten war - zusätzlich zu den Ausgrabungen vor Ort - ein komplexes logistisches System aus mikroskopischen Ausgrabung von Blockbergungen, Konservierung und Restaurierung von organischem Material sowie der Befund- und Funddokumentation und .-analyse im GIS und der Einbindung von Beprobungen für naturwissenschaftliche Analysen.
In der Zusammenschau aller Ergebnisse erhalten wir nun über naturwissenschaftliche Analysen nicht nur Informationen zu Alter, Körper und Krankheiten des Toten, seiner Herkunft und Ernährung, sondern auch zu seiner Kleidung und Grabausstattung. Die naturwissenschaftliche Datierung des Grabes lässt die Zeit der Bestattung über die Möglichkeiten archäologisch-historischer Methoden hinaus auf die späten 370er Jahre n. Chr. eingrenzen und wirft damit neue Fragen nach der regionalen Besiedlungsgeschichte der Nordkarpathischen Gruppe auf. Die Rekonstruktionen von Grabkonstruktion, Mobiliar und Ausstattung sowie der Vorgänge im Grab lassen Rückschlüsse zu auf bestattungsbegleitende Handlungen und Grabriten sowie überregionale Vergleiche von Grabarchitektur und Grabkonstruktion. Dabei ergeben sich wesentliche Hinweise auf überregionale Kulturkontakte elitärer germanischer Gesellschaften dieser Zeit zum Römischen Reich, Adaptionen von Bestattungskonzepten und Formengut und den Nachweis von Ideentransfer.
Das Kammergrab von Poprad-Matejovce wurde weiterführend im Kontext der Siedlungsdynamik der frühvölkerwanderungszeitlichen Besiedlung der Westkarpaten durch die sogenannte Nordkarpathische Gruppe untersucht. Nordkarpatische Gruppe ist ein lokales, recht kurzlebiges Besiedlungsphänomen, das sich in der frühen Völkerwanderungszeit über ein weites Gebiet beidseitig des westlichen Karpatenbogens in der nördlichen Slowakei und dem südlichen Polen erstreckt. Aus dem Kontext der Nordkarpathischen Gruppe bzw. der frühvölkerwanderungszeitlichen Besiedlung der Westkarpaten in der Slowakei sind bislang weder Gräberfelder noch einzelne Grabfunde bekannt, weshalb der Entdeckung der Körperbestattung im Kammergrab von Poprad-Matejovce eine besondere Stellung zukommt. Vor allem aber zeigt sich hier die Möglichkeit, die Anlage eines herausragenden Grabes der lokalen Elite im Kontext der frühvölkerwanderungszeitlichen Besiedlung der Westkarpaten zu betrachten und in Diskussionen um Brüche und Dynamiken der Besiedlungsgeschichte in zeitlicher und räumliche Nähe um das Grab einzubinden. Das Grab von Poprad nicht nur wegen der einzigartigen Erhaltung von Organik und damit verbunden von Rekonstruktionsmöglichkeiten von z.B. Grabkammern, Möbeln sowie auch Textilien und Leder von überregionaler Bedeutung besonders. Es zeigen sich Besonderheiten in der Grabkonstruktion, die einerseits von einem besonders starken Bezug in den römischen Kulturraum, andererseits eine Konstruktion aufzeigen, die darauf ausgelegt ist, dass eine Bestattungsgemeinschaft den gesamten Bestattungsprozess bezeugen und an nachfolgende Generationen vermitteln kann. Das Grab wurde mit großer Wahrscheinlichkeit in den späten 370er Jahren n. Chr. angelegt, also in dem frühesten Besiedlungszeitraum der Besiedlung der Karpaten der nordöstlichen Slowakei und stellt somit die Bestattung eines Angehörigen der germanischen Elite dar, der mit der ersten Einwanderergeneration der Nordkarpathischen Gruppe in Verbindung stand. Im Kontext diachroner Diskussionen um Prunkgräber stellt es sich als wahrscheinlich dar, dass es sich bei dem Grab um eine Identitätskonstruktion handelt, die für die zeitgleichen und nachfolgenden sozialen Gefüge als identitätsstiftendes Denkmal für die eigenen Leute und nachfolgende Generationen diente.
Das Projekt befindet sich nun in der Publikationsphase und wird in einer vierbändigen Monographienreihe veröffentlicht werden, von der der erste Band bereits 2022 erschienen ist (Lau/Pieta/Štolcová 2022). 2023 wurde eine extra für das Grab konzipierte Dauerausstellung „Knieža z Popradu a jeho hrobka“ (Der Fürst und sein Grab“ im Podtatranské múzeum in Poprad eröffnet.
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- Dr. phil. Nina Lau
- +49 4621 813-462
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Team
Projektzeitraum
- Seit 01.2008
- Archäologisches Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften (AÚ SAV)
- Podtatranské múzeum in Poprad
- Museum für Archäologie Schleswig
- Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein
- Landesamt für Denkmalpflege Hannover
- Lau/Pieta 2014: N. Lau/K. Pieta, Das Grab von Poprad-Matejovce in der Slowakei –Anlage, Konstruktion und Ausstattung eines frühvölkerwanderungszeitlichen Kammergrabes. In: A. Abegg-Wigg/N. Lau (Hrsg.), Kammergräber im Barbaricum – Zu Einflüssen und Übergangsphänomenen von der vorrömischen Eisenzeit bis in die Völkerwanderungszeit. Internationale Tagung, Schleswig, 25.–27. November 2010. Schr. Arch. Landesmus. Ergr. 9 (Neumünster/Hamburg 2014) 343–364.
- Lau 2017: N. Lau, Überlegungen zur gedrechselten Totenliege aus dem frühvölkerwanderungszeitlichen Grab von Poprad-Matejovce. In: B. V. Eriksen/A. Abegg-Wigg/R. Bleile/U. Ickerodt (Hrsg.), Interaktion ohne Grenzen. Beispiele archäologischer Forschungen am Beginn des 21. Jahrhunderts. Festschr. C. von Carnap-Bornheim (Schleswig 2017) 457-466.
- Lau/Pieta 2017: N. Lau/K. Pieta, Die antike Öffnung des Kammergrabes von Poprad-Matejovce. In: Na Hranicích a Impéria. Extra Fines Imperii. Festschrift J. Tejral (Brno 2017) 255-265.
- Jones et al. 2018: T. C. Jones/B. Mühlemann/P. de Barros Damgaard/M. E. Allentoft/I. Shevnina/A. Logvin/E. Usmanova/I. P. Panyushkina/B. Boldgiv/T. Bazartseren/K. Tashbaeva/V. Merz/N. Lau/V. Smrčka/D. Voyakin/E. Kitov/A. Epimakhov/D. Pokutta/M. Vicze/T. D. Price/V. Moiseyev/A. J. Hansen/L. Orlando/S. Rasmussen/M. Sikora/L. Vinner, A. D. M. E. Osterhaus, D. J. Smith, D. Glebe, R. A. M. Fouchier, Chr. Drosten, K.-G. Sjögren, K. Kristiansen, E. Willerslev, Ancient Hepatitis B viruses from the Bronze Age to the Medieval. Nature 557, issue 7705, 2018, 418-423.doi:10.1038/s41586-018-0097-z
- De Barros Damgaard et al. 2018: P. de Barros Damgaard/N. Marchi/S. Rasmussen/M. Peyrot/G. Renaud/Th. Korneliussen/J. V. Moreno-Mayar/M. Winther Pedersen/A. Goldberg/E. Usmanova/N. Baimukhanov/V. Loman/L. Hedeager/A. Gorm Pedersen/K. Nielsen/G. Afanasiev/K. Akmatov/A. Aldashev/A. Alpaslan/G. Baimbetov/V. I. Bazaliiskii/A. Beisenov/B. Boldbaatar/B. Boldgiv/Ch. Dorzhu/St. Ellingvag/D. Erdenebaatar/R. Dajani/E. Dmitriev/V. Evdokimov/K. M. Frei/A. Gromov/A. Goryachev/H. Hakonarson/T. Hegay/Z. Khachatryan/R. Khaskhanov/E. Kitov/A. Kolbina/T. Kubatbek/A. Kukushkin/I. Kukushkin/N. Lau/A. Margaryan/I. Merkyte/I. V. Mertz/V. K. Mertz/E. Mijiddorj/V. Moiyesev/G. Mukhtarova/B. Nurmukhanbetov/Z. Orozbekova/I. Panyushkina/K. Pieta/V. Smrčka/I. Shevnina/A. Logvin/K.-G. Sjögren/T. Štolcová/K. Tashbaeva/A. Tkachev/T. Tulegenov/D. Voyakin/L. Yepiskoposyan/S. Undrakhbold/V. Varfolomeev/A. Weber/N. Kradin/M. E. Allentoft/L. Orlando/R. Nielsen/M. Sikora/E. Heyer/K. Kristiansen/E. Willerslev, 137 ancient human genomes from across the Eurasian steppes. Nature 557, issue 7705, 2018, 369–374. doi:10.1038/s41586-018-0094-2
- Lau/von Carnap-Bornheim 2021: N. Lau/C. von Carnap-Bornheim, Grabkammer, Totenhaus, Ritualräume. Überlegungen zum Kammergrab von Poprad-Matejovce. In: Z. Robak/M. Ruttkay (Hrsg.), Celts – Germans – Slavs. A Tribute Anthology to Karol Pieta. Slovenská Archeológia Suppl. 2 (Nitra 2021) 323 – 332.
- Lau/Pieta/Štolcová 2022: N. Lau/K. Pieta/T. Štolcová, Fundkatalog, Tafeln und Pläne. Unter Mitarbeit von L. Ø. Brandt, P. Červeň, K. Göbel, J. Göpfrich, M. Habánová, M. Hajnalová, Š. Hritz, Z. Hukeľová, J. Jakab, J. Meurers-Balke, J. Mihályiová, S. Mitschke, J. Nowotny, P. Prohászka, P. Roth, D. Schaarschmidt, U. Schmölcke, W. H. Schoch, U. Tegtmeier, I. Vanden Berghe, J. Zajonc und G. Zink. Poprad-Matejovce - Ein Kammergrab des 4. Jahrhunderts n. Chr. im Zipser Land 1 (Nitra, Schleswig 2022).
Ausstellung im Podtatranské múzeum in Poprad Podtatranské múzeum v Poprade (muzeumpp.sk)
Dreiteiliger Dokumentationsfilm von RTVS (auf slowakisch)
- Teil 1: Slovenskí archeológovia na Slovensku - Televízny archív – pôvodná tvorba i športové relácie online (rtvs.sk)
- Teil 2: Slovenskí archeológovia na Slovensku - Televízny archív – pôvodná tvorba i športové relácie online (rtvs.sk)
- Teil 3: Slovenskí archeológovia - Televízny archív – pôvodná tvorba i športové relácie online - STVR
Archäologie zu Zweit: "Archäologie zu zweit": Über die Erforschung eines 1600 Jahre alten Fürstengrabes (youtube.com)