Frühes Glas in Ägypten
Glasobjekte aus dem Grab Tutanchamuns fanden bisher vielleicht deshalb überraschend wenig Aufmerksamkeit, weil uns nur wenige davon überliefert sind; ein Umstand, den bereits Howard Carter bei der Aufarbeitung der Funde enttäuscht kommentierte.
In den letzten Jahren konnten nun neben drei erhaltenen Gefäßen, die außergewöhnlich großen, nahezu 2 kg schweren Kopfstützen sowie eine über 40 cm lange Schreibpalette Tutanchamuns aus Glas einer technologisch-naturwissenschaftlichen Autopsie unterzogen werden. Dabei ließen sich optische Phänomene und Merkmale der Herstellung identifizieren, die entscheidend zum besseren Verständnis früher Glasverarbeitung im Neuen Reich beitragen können. Diese Beobachtungen wurden aufgegriffen und in mehreren Veröffentlichungen diskutiert; experimentelle Versuche zur Evaluierung der Befunde und ihrer Interpretation sind gemeinsam geplant, konnten aber bisher nicht umgesetzt werden. Ein weiterer Schwerpunkt der laufenden Untersuchung liegt auf den abertausenden kleinen Glaseinlagen, die aufwendig in Zelleneinlage-Technik nahezu jedes Objekt der Grabausstattung verzieren. Sie zeichnen ein einzigartiges Bild technologischer Vielfalt und von Besonderheiten in Design und Verwendung. Die Glaseinlagen schmücken Objekte aus Kalzit, die Streitwagen, Waffen und Möbel, darunter die rituellen Liegen oder der goldene Thron, den goldenen Sarg, die Totenmaske und bedeutende Mengen an Schmuck und anderen Goldschmiedearbeiten.
Darunter sind – wenn auch diesmal en miniature – erneut wahre Preziosen zu entdecken: Kleine Hinterglas(einlagen)malereien, die das Repertoire der farbigen Einlagen ergänzen. Bekannte und bisher unerkannte Beispiele sind an dem mittleren Sarg, dem goldenen Thron, an den Inschriften der Mumienbänder und der kleinen Eingeweidesärge sowie verschiedenen Schmuckarbeiten aus dem Grabschatz erhalten.
An einem Ohrschmuck des Königs finden sich zwei, gleich in vielerlei Hinsicht besondere Exemplare: Polychrome Miniaturportraits des Königs, gemalt auf die Rückseiten kreisrunder Einlagen von unter einem Zentimeter Durchmesser.
Königsportraits sind im archäologischen Befund in Ägypten kaum belegt und lediglich in Form von Übungsstücken verschiedener Handwerker oder Maler zu finden, und auch als künstlerisches Dekor eines Schmuckstücks sind sie bisher einzigartig.
In diese Studie wurden bisher zum Vergleich weitere Objekte – der Sarg aus KV 55 und der dritte, inneren Sarg des Juja – in die Betrachtung einbezogen, auch wenn bei diesen Beispielen die hintermalten Einlagen nicht nur aus Glas, sondern teilweise auch aus Calzit oder Quarz/Bergkristall gearbeitet sind. Ergänzendes Augenmerk liegt auf den zahlreichen transparenten Augeneinlagen aus den genannten Materialien, die in verschiedenen Variationen bereits seit der 4. Dynastie Verwendung fanden.
Die Untersuchung verfolgt das Ziel, zumindest im Ansatz die Genese verschiedener Herstellungs- und Dekorationstechniken zu fassen, ebenso aber auch die Herausbildung stilistischer und technologischer Spielarten zu verfolgen und aufzuzeigen.
Monographien
- K. Broschat, »Polychrom und polymorph – Glas aus dem Grab des Tutanchamun«, in Vorb.
Aufsätze
- K. Broschat, Hintergründig? Weitere Objekte mit Hinterglasmalereien aus dem Grab des Tutanchamun, Journal of Glass Studies 65, 2023.
- K. Broschat / Th. Rehren, Makellos - Ein gläsernes Schreibwerkzeug des Tutanchamun und Anderes, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo 78, 2023.
- K. Broschat, Glas aus dem Grab des Tutanchamun. Ein Überblick. In: Annales du 21e Congrès de l’Association Internationale pour l'Histoire Du Verre, Istanbul 3.-7. September 2018 (Istanbul 2021).
- Th. Rehren / K. Broschat, A large turquoise glass writing palette from Tutankhamen’s tomb. Journal of Glass Studies 62, 2020, 263-266.
- K. Broschat, Hintergründig! Hinterglasmalerei aus dem Grab des Tutanchamun. Restaurierung und Archäologie 10, 2017, 63-94.
- K. Broschat / Th. Rehren, The Glass Headrests of Tutankhamen. Journal of Glass Studies 59, 2017, 377-380.
- K. Broschat / Th. Rehren / Ch. Eckmann, Makelloses Flickwerk – Die gläsernen Kopfstützen des Tutanchamun und Anderes. Restaurierung und Archäologie 9, 2016, 1-24.
Katalogbeiträge
- K. Broschat, Beauty in Detail – Glass from the Tomb of Tutankhamun. In: S. Connor / D. Laboury (Hrsg.), Tutankhamun. Discovering the forgotten Pharaoh [Ausstellungskat. Liège] (Liège 2020) 82-85.
- K. Broschat, La beauté dans le détail – Le verre dans la tombe de Toutankhamon. In: S. Connor / D. Laboury (Hrsg.), Toutankhamon, à la recherche du pharaon oublié [Ausstellungskat. Liège] (Liège 2019) 82-85.
Andere
- Katja Broschat, Gläserne Kissen und verborgene Bilder. Glasfunde aus dem Grab des Tutanchamun. Antike Welt 6 (2022).