Dr. Ruth Blankenfeldt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Leibniz-Zentrums für Archäologie am Standort Schleswig (LEIZA-ZBSA). Ihr Forschungsraum ist das Nordfriesische Watt. Dort erschlossen Menschen im Mittelalter Siedlungs- und Wirtschaftsflächen, doch Sturmfluten verschluckten weite Teile der Region immer wieder. Blankenfeldt sucht zusammen mit ihrem Team nach Spuren dieser einst kultivierten Flächen, um die Auswirkungen von Umwelteinflüssen und menschlichen Eingriffen auf das Gebiet besser zu verstehen. Im letzten Jahr machten die Wissenschaftler:innen dabei einen erstaunlichen Fund. Was das war, wie ihre wissenschaftliche Arbeit im Watt aussieht und warum sie sich dafür so begeistert – das erzählt Blankenfeldt im Interview.
Frau Dr. Blankenfeldt, was ist das Ziel Ihrer Forschungsarbeiten im Watt?
Das nordfriesische Wattenmeer ist UNESCO-Weltnaturerbe mit einer spannenden Geschichte. So entstanden zum Beispiel vor der heutigen Hallig Südfall, etwa 30 Kilometer westlich von Husum, im Mittelalter ausgedehnte Siedlungs- und Wirtschaftsflächen. Bei deren Erschließung griffen die Menschen massiv in die natürlichen Gegebenheiten der Region ein: Sie bauten Deiche und zogen Entwässerungsgräben, um das Areal landwirtschaftlich nutzen zu können. Im Hochmittelalter nahm diese Form der Bewirtschaftung nahezu industrielle Ausmaße an. Als dann im Jahr 1362 eine große Sturmflut kam, entstand ein verheerender Badewanneneffekt: Riesige Flächen wurden überflutet und verschwanden von der Bildfläche, da das Wasser aus den durch die menschlichen Eingriffe nun tiefer liegenden Bereichen nicht mehr abfließen konnte. Unzählige Menschen und Nutztiere sollen damals ertrunken sein und viele Kirchspiele versanken für immer. Zahlreiche Funde aus dieser Zeit deuten auf Siedlungen hin, die unter der Wattoberfläche konserviert sind. Unser Ziel ist es, in einem Zusammenspiel aus Geophysik, Geoarchäologie und Archäologie die Zusammenhänge besser zu verstehen.
Wie läuft die Arbeit im Wattenmeer für Sie und Ihr Team typischerweise ab?
Ich arbeite in einem mehrköpfigen, interdisziplinären Team aus den Bereichen Geophysik – geleitet von der Universität Kiel (CAU) – sowie der Geoarchäologie– geleitet von der Universität Mainz (JGU) - und der Archäologie – geleitet durch das Exzellenzcluster ROOTS der CAU, dem Archäologischen Landesamt Schleswig (ALSH) und durch mich – zusammen. Als digitale Basis nutzen wir ein selbst erstelltes und ständig erweitertes Geoinformationssystem, in dem historische und moderne Karten, Luftbilder aus verschiedenen Jahren, Kartierungen vorheriger Forschungen sowie unsere Ergebnisse und Interpretationen zusammengeführt werden.
Die Basis für die Feldarbeiten in einem Messgebiet liefern geophysikalische Vermessungen: An einem für unsere Bedürfnisse angepassten Magnetikwagen befinden sich sechs Sonden, die das Erdmagnetfeld messen. Jeder Eingriff in den Boden veränderte das Feld und wird aufgezeichnet. So entstehen Karten von den Kulturspuren unter den Wattflächen.
Die Geoarchäologie sucht sich anhand der Geomagnetik-Karten markante Punkte aus, an denen nun weitere Untersuchungen folgen. An diesen Stellen nehmen wir Bohrkerne von durchschnittlich drei bis fünf Metern Tiefe. Diese werden später unter Laborbedingungen in Mainz ausgewertet, um zu sehen, wie sich die Landschaft im Laufe der Jahrtausende entwickelt hat.
An besonders interessanten Stellen graben wir aus. Das ist im Watt eine große Herausforderung, da man hier nicht einfach Löcher ausheben kann – sie würden sofort wieder mit Wasser zulaufen. Daher haben wir einen Grabungskasten entwickelt, der in der Werkstatt der Uni Kiel gebaut und inzwischen leicht modifiziert wurde. Dieser Metallkasten wird an ausgewählten Punkten im Watt in die Oberfläche gerammt und erzeugt durch die verlängerten Seitenkanten eine Art Spundwandeffekt. So können wir dann eine Fläche ausgraben, die ein Quadratmeter groß ist.
Das Watt bringt noch ein paar weitere Herausforderungen für uns mit. So ist die Nutzung motorisierter Fahrzeuge im Nationalpark Wattenmeer nicht erlaubt, so dass sämtliche Ausrüstungen – der Magnetikwagen, weitere geophysikalische Messgeräte, die Ausstattung für das Bohrteam, sämtliches Equipment für die archäologischen Untersuchungen – von uns täglich händisch ins Feld gebracht werden müssen.
Natürlich sind wir bei unserer Arbeit auch von den Gezeiten abhängig. Wir gehen circa drei Stunden vor Niedrigwasser los und haben dann im günstigsten Fall vier Stunden Zeit, vor Ort zu arbeiten. Dann müssen wir unsere Sachen packen und den Rückweg antreten.
Was war Ihr bisher spannendster Fund?
Wir haben in der Region von Hallig Südfall im letzten Jahr einen wirklich herausragenden Fund gemacht. Dort vermutet man bereits seit langem den sagenumwobenen Handelsplatz Rungholt, der 1362 untergegangen sein soll. Im Team hatten wir bereits seit langem darüber Scherze gemacht, dass wir dringend eine große Kirche finden müssen, um zu belegen, dass wir hier wirklich auf dem untergegangenen Rungholt und nicht irgendeiner anderen und nicht so bedeutsamen Siedlung arbeiten.
Und dann kam der Tag, an dem wir eine Anomalie auf unseren Karten fanden, die 40 Meter lang und 15 Meter breit war und auf eine alte Baustruktur deutete, die auf einer Warft lag. Im Westen eine viereckige, im Osten eine halbrunde Struktur… das konnten nur Turm und Apsis einer Kirche sein. Unglaublich! Wir hatten wirklich eine sehr große Kirche gefunden und damit auch den Mittelpunkt eines Siedlungsgefüges, dass eine wichtige übergeordnete Stellung einnahm. Ein tolles Gefühl! Wir haben über Jahre eine Methode entwickelt, die funktioniert - allein das ist schon ein super Ergebnis und dann wurden wir aber darüber hinaus noch mit einem besonderen Befund belohnt.
Was reizt Sie an Ihrer Arbeit besonders?
Mein Arbeitsleben ist abwechslungsreich und ich arbeite in einem tollen Team, das empfinde ich als großes Privileg. Ich habe schon an vielen unterschiedlichen Orten ausgegraben, bin als Forschungstaucher in verschiedensten Gewässern gewesen – ich reise per se gerne. Ich finde es aber auch reizvoll und wichtig, die eigene Geschichte vor der Haustür zu erforschen. Gleichzeitig sind wir natürlich in einem engen Austausch mit Kollegen aus Niedersachsen sowie aus den Niederlanden und aus Dänemark, wo wir auch ein kleines Projekt haben.
Uns am LEIZA reizt ja die Frage: Woran ist der Mensch in Interaktionen mit der Umwelt in der Vergangenheit gescheitert, und was hat er daraus gelernt? Was hat beispielsweise die Nordfriesen im Mittelalter so resilient gemacht, dass sie nach den Naturkatastrophen dort nicht weggezogen sind, sondern zumindest Teile des Landes zurückgewonnen haben? Diese Zähigkeit - das ist in meinen Augen ein ganz spannender Aspekt des Zusammenwirkens zwischen Mensch und Natur in dieser Gegend. Vielleicht gelingt es auch, Erkenntnisse über die Fehler, die gemacht wurden, wie beispielsweise die radikale Ausbeutung der Landschaft und die damit einhergehende Potenzierung eines Schadens bei extremen Wetterlagen in heutige Denkmuster zu überführen.
Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Blankenfeldt!
STECKBRIEF ZUM PROJEKT
Projektname
„Das Nordfriesische Watt“
Projekteinordnung
"Das Nordfriesische Watt“ ist ein Projekt des Forschungsfelds 3 „Wechselwirkungen zwischen Menschen und Umwelten“ des LEIZA.
Ziel des Forschungsfeldes ist es zu verstehen, wie sich Gesellschaften unter dem Einfluss natürlicher und veränderter Umwelten entwickeln und wie sie diese wiederum gestalten und prägen.
Die Westküste von Schleswig-Holstein mit dem nordfriesischen Wattenmeer, Teil eines UNESCO Weltnaturerbes, hat sich in den letzten Jahrtausenden ständig verändert: zum einen durch Umwelteinflüsse wie Meeresspiegelschwankungen, Gezeiten und Stürme, zum anderen durch massive menschliche Eingriffe ab dem Mittelalter.
Ein Zusammenspiel von anthropogen initiierter Umgestaltung des Naturraumes mit unkontrollierbaren Umweltereignissen hat hier immer wieder zu einer dramatischen Veränderung des Lebensraumes innerhalb kürzester Zeit geführt.
Daher eignet sich diese Region hervorragend für Untersuchungen innerhalb des Forschungsthemas „Leben mit Umweltveränderungen“. Hierzu gehören zudem auch weitere Aspekte die Erschließung von Siedlungsräumen, die Ausbeutung von Ressourcen bis hin zur menschlichen Resilienz und dem Scheitern von Strategien.
Förderung
- Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
- Land Schleswig-Holstein
Bisherige Ergebnisse
Kernarbeitsgebiet um Hallig Südfall:
Umfassende Rekonstruktion von Teilen des 1362 untergegangenen Verwaltungsbezirks Edomsharde und der damit verbundenen Siedlung Rungholt auf bisher circa 10 Quadratkilometer Fläche um die heutige Hallig Südfall.
1. Nachweis von Siedlungsmustern mit bisher über 60 dokumentierten Warften*, planvoll angelegt in Reihen mit lang gestreckten Hofstellen, sog. Hufen:
- Marschhufendörfer: Typische Form der mittelalterlichen Kolonialisierung von Küstenmarschen und Niedermooren
- umfassendes Grabensystem zur Entwässerung
- Deichsystem(e) mit Sieltor
2. Nachweis von natürliche Bedingungen vor der Besiedlung:
- Küstenniederung mit ausgedehnten Torfgebieten
- Rekonstruierbare Landgewinnungsmaßnahmen: umfangreichen Torfabbau zur Kultivierung der darunter liegenden fossilen Marschböden
3. Nachweis einzigartiger Befunde:
- Warft mit Resten eines 40 mal 15 m großen Kirchenfundaments: Eine der Hauptkirchen der Edomsharde, Mittelpunkt eines Kirchspiels mit übergeordneter Funktion
- Artefakte aus Gezeitenpriel nordöstlich von Hallig Südfall: vor allem Keramikfunde, einheimische aber auch zahlreiche importierte Waren, Funde von Klappwagen und Gewichten, Waffen und verzierten Trachtelementen, besondere Einzelfunde, Funde aus dem Alltagsleben
- Handelsplatz und ausgedehnte Handelskontakte
- Stratifizierte Gesellschaft, Wohlstand
Kernarbeitsgebiet Hallig Hooge und umliegende Wattflächen:
- Nachweis umfassender Salztorfabbau-Flächen samt zugehöriger Logistik rund um die Hallig,
- Nachweis und Bearbeitung (Grabungsschnitte, Profile) einer Salzsiederwarft auf der Hallig, Aufdeckung weiterer Strukturen in den Wattflächen (Warften, Deichlinien, Entwässerungsgräben)
→ Rückschlüsse auf „industrialisierte“ Ausbeutung der Landschaft, Umgestaltung in unbewohnbare Flächen
→ Rückschlüsse auf Handelsware, Wirtschaftsfaktor „Salz“
* Warft = künstlich aufgeschütteter Wohnhügel
Kooperationen/ Beteiligte
- Leibniz-Zentrum für Archäologie am Standort Schleswig: Dr. Ruth Blankenfeldt und PD Dr. habil. Ulrich Schmölcke
- Johannes Gutenberg-Universität Mainz: Dr. Hanna Hadler und Prof. Dr. Andreas Vött aus der Arbeitsgruppe Naturrisikoforschung und Geoarchäologie
- Christian -Albrechts-Universität Kiel, Arbeitsgruppe Angewandte Geophysik: Dr. Dennis Wilken
- Christian -Albrechts-Universität Kiel, Exzellenzcluster ROOTS: Dr. Bente Sven Majchczack
- Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein: Dr. Stefanie Klooß und Dr. Ulf Ickerodt
Publikationen
- Wilken, D., Hadler, H., Majchczack, B.S., Blankenfeldt, R. et al., The discovery of the church of Rungholt, a landmark for the drowned medieval landscapes of the Wadden Sea World Heritage. Sci Rep 14, 15576 (2024). https://doi.org/10.1038/s41598-024-66245-0
Weiterführende Links
Schlagworte
Siedlungsarchäologie, Landschaftsarchäologie, Geophysik, Geoarchäologie, Wattenmeer, UNESCO Welterbe, Handelsnetzwerke, Leben an der Küste, Torfabbau, Sturmflut, Klimaveränderungen, Mittelalter, Landverlust, Kolonisierung einer Landschaft, Klimaveränderungen, Resilienz, Internationale Forschung
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